Sonntag, 2. August 2009

20 Milliarden US-Dollar und der Menschenrechtsdialog Schweiz-Iran

Autor: slkrf, gepostet auf http://slkrf.tumblr.com/post/154368996/20-milliarden-us-dollar-und-der-menschenrechtsdialog

Die schweizerische Aussenministerin Calmy-Rey besuchte im März 2008 den Iran, um bei einem Vertragsabschluss zwischen der schweizerischen Elektrizitätsgesellschaft Laufenburg AG (EGL) und der staatlichen iranischen Nigec (National Iranian Gas Export Company) anwesend zu sein. Laut Medienberichten wurde die Anwesenheit der hohen Amtsträgerin ausdrücklich von der iranischen Regierung gefordert. Bis jetzt wurde nicht restlos erklärt, warum der “private” Vertragsabschluss nicht auch ohne das Zutun der hohen politischen Würdenträgerin zustande gekommen wäre.

Ein Parlamentarier von der Eidgenössischen Demokratischen Union, einer kleinen religiös-katholischen Partei aus dem rechten Spektrum, reichte kurz nach dem Besuch von Calmy-Rey im Iran eine Interpellation im schweizerischen Parlament ein. Grundsätzlich gaben die Fragen des Parlamentariers zwar eher ein fragwürdiges Bild religionspolitischer Ansichten wieder. Auf den zweiten Blick fällt aber auch auf, wie kurz und widerwillig der Bundesrat einige berechtigte Fragen damals beantwortete.

Die Interpellation stellte beispielsweise die Frage, ob “(…) dieses Vorgehen Hinblick auf die Zustände z. B. der Menschenrechte in Iran mit den Grundprinzipien schweizerischer Humanität, Neutralität, dem Schutz der Menschenrechte (…) vereinbar ist?”. Die Antwort des Bundesrates lautete kurz und bündig: “Ja”. Wenn mit “Vorgehen” nicht das vieldiskutierte Kopftuch von Calmy-Rey gemeint war, sondern grundsätzlich die Präsenz von Calmy-Rey bei einem “privaten Geschäft” allgemein, dann müsste die Antwort hierzu eigentlich ein wenig ausführlicher ausfallen.

Doch auch die weiteren Antworten auf die Interpellation fallen etwas merkwürdig aus. Zum Beispiel so: “3. Der Gasliefervertrag hat eine Laufzeit von 25 Jahren und kann daher nur an den politischen Umständen zu einem bestimmten Zeitpunkt gemessen werden. (…)”. Oder “4. Die Vertragsparteien dieses Gasliefervertrags sind die EGL AG und die Nigec. Es ist Sache der Vertragsparteien, die Zuverlässigkeit eines Vertragspartners zu beurteilen. (…)”.

Die Notwendigkeit der Anwesenheit der Schweizer Aussenministerin beim Vertragsabschluss in Teheran hatte damals heftig Fragen aufgeworfen. Die Schweizer Aussenministerin wies Kritik von sich und sprach von einem “Vertrag zwischen einem privaten Schweizer Unternehmen und dem staatlichen iranischen Gaslieferanten”, was genau genommen ihre Präsenz aber auch nicht besser erklärte. Die Nigec ist offiziell eine staatliche iranische Firma, die Elektrizitätsgesellschaft Laufenburg AG (EGL) ist bloss in der föderalistischen Sprachregelung privat. Sie ist seit 2003 zu fast 90 Prozent im Besitz der Axpo Holding AG. Die Axpo wiederum ist zu 100 Prozent in Besitz einiger Kantone (schweizerische “Länder”).

Die EGL ist im schweizerischen Strommarkt mit einem Umsatz von 4,1 Mia. CHF (2007/08) und zahlreichen internationalen Beteiligungen eine grössere Markteilnehmerin. Die EGL hält Beteiligungen unter anderem in Spanien, Österreich, Albanien, Bulgarien, Griechenland, Grossbritanien, Türkei, Deutschland, Serbien, Norwegen, Slowakei, Polen und Schweden. EGL investiert auch in Italien, wo neue EGL-Gaskraftwerke enstanden sind. Die Stromproduktion ist in Italien mit ca. 1400 MW bereits grösser als in der Schweiz (900 MW). Zudem besitzt die EGL zur Hälfte die TAP (Trans-Adriatische Gas Pipeline), welche noch dieses Jahr in Betrieb genommen werden soll. EGL bezeichnet den Energie Handel (Energy Trade) als ihr eigentliches Kerngeschäft.

Das TAP-Projekt ist aufgeteilt in einzelne Beteiligunggesellschaften. Offensichtlich dazu gehören die Firmen Trans Adriatic Pipeline AG, TAP LNG AG und TAP Storage AG mit Sitz im steuergünstigen schweizerischen Baar (ZG). TAP Asset S.p.A hat ihren Sitz in Rom. Über die TAP-Pipeline sollen bis Jahr 2012 jährlich bis zu 55 Mia. kWh Erdgas geliefert werden (zum Vergleich: die gesamte Schweiz importierte 2007 laut «Erdgas» total 34 Mia. kWh). Laut Medienberichten ist der Deal mehr als 20 Mia. US-Dollar wert.

Die Interessengemeinschaft der Gaswirtschaft der Schweiz (Erdgas) gibt als Bezugsquelle für in die Schweiz importiertes Erdgas bisher den Iran nicht an. Das Gas aus dem Iran sei nicht für die Schweiz bestimmt. Die Interessengemeinschaft preist eine schweizerische Beschaffungsstrategie, durch welche das Erdgas zu drei Vierteln aus westeuropäischer Förderung stammen soll. Der Deal mit dem Iran wurde denn auch innerhalb der Gaswirtschaft kontrovers diskutiert. Im internationalen Vergleich ist die Schweiz bloss ein kleiner Gasimporteur, umso interessanter ist für die Stromkonzerne aber wohl das Handelsgeschäft mit direkter Erschliessung von neuen Gaskanälen nach Europa – für die Stromproduktion. Für die Lieferungen aus dem Iran haben sich neben der EGL auch noch andere Marktteilnehmer interessiert.

Die offizielle Darstellung des Deals erweckte in wirtschaftsnahen Kreisen den Eindruck, dass hier auf lobenswerte Arte und Weise grundlegende wirtschaftliche Interessen der Schweiz wahrgenommen wurden. Mehrmals wurde anachronistisch auf die Versorgunslage in der Schweiz hingewiesen und selbst iranische Medien berichteten darüber, dass die 55 Mia. kWh in die Schweiz fliessen. Doch es ging wohl in Tat und Wahrheit eher um knallharte, wenig hinterfragte Interessen im Energiegeschäft.

Auch die MenschenrechtsaktivistInnen wurden von offizieller Seite während des Deals beschwichtig. Selbst Organsiationen wie “menschenrechte.ch” liessen sich bisher davon überzeugem, dass eben gerade wirtschaftliche Sanktionen keine oder gar kontraproduktive Wirkung entfalten. Calmy-Rey verweist gerne darauf, dass die Menschenrechtssituation im Iran ja bereits seit Jahren in einem separaten “Menschenrechtsdialog” diskutiert wird. Die letzten konkreten Ergebnisse dieses Dialogs liegen allerdings schon einige Zeit zurück. Die Schweiz konnte vor ein paar Jahren bewirken, dass einige Angehörige der Gruppe der Baha’is in Shiraz aus dem Gefängnis entlassen wurden. Calmy-Rey verwies auch 2008 auf diesen Menschenrechtsdialog, der Ausgang der Gespräche bei ihrem Besuch 2008 im Iran ist allerdings unbekannt und iranische Medien berichteten bloss wohlwollend über den hohen staatlichen Besuch zur Ankurbelung der gegenseitigen wirtschaftlichen Interessen.

Dass es nun bei den aktuellen Zusammenstössen nach den Wahlen erwiesenermassen zu schweren Menschenrechtsverletzungen im Iran gekommen ist, wirft zum “privaten” Erdgashandel der Schweiz nun aber wieder Fragen auf. Derzeit finden in Teheran menschenrechtswidrige Schauprozesse statt – gegen Angehörige fast sämtlicher Gruppierungen der Opposition.

Vielleicht wäre es an der Zeit, dass die erfolgreichen Leitungsleger der Kantone-Schweiz bei ihren Grabungen in der Richtung Adria-Türkei-Asserbeidschan-Iran mal kurz auf der anderen Seite aus dem Rohr gucken. Dort spielt sich derzeit eine unglaublich zynische, menschenverachtende Tragödie ab. Der von Calmy-Rey beschriebene “Menschenrechtsdialog” mit Iran wird seit Wochen gerade in Grund und Boden gestampft. Vielleicht wäre es angesichts der Milliarden US-Dollar für Erdgas auch an der Zeit, dass die Schweiz ein Zeichen setzt. Indem sie zum Beispiel diese Verträge wenigstens nochmals überprüft, “privat” oder öffentlich.

(Dieser Text spiegelt selbstverständlich bloss meine persönliche Sicht der Dinge. Alle Angaben ohne Gewähr. Bitte Quellen selber überprüfen, gesamte Irrtümer des Universums restlos vorbehalten.)

Quellen:
– Parlamentarische Interpellation von Luc Recordon (Grüne) vom 23. Juni 2006, «Verfolgung der Baha’i», http://www.parlament.ch/d/suche/seiten/geschaefte.aspx?gesch_id=20063361
– Parlamentarische Interpellation von Christian Wabern (EDU) vom 19. März 2008, «Besuch von Bundesrätin Calmy-Rey in Iran», http://www.parlament.ch/D/Suche/Seiten/geschaefte.aspx?gesch_id=20083128
– NZZ am Sonntag vom 16. März 2008, «Micheline Calmy-Rey reist für Erdgas-Vertrag nach Teheran», http://www.nzz.ch/nachrichten/schweiz/micheline_calmy-rey_reist_fuer_erdgas_-vertrag_nach_teheran_1.690304.html
– NZZ vom 17. März 2008, «Calmy-Rey in Iran für Gasvertrag», http://www.nzz.ch/nachrichten/schweiz/schweiz_iran_1.690814.html
– NZZ vom 3. April 2008, EGL-Chef relativiert Rolle Calmy-Reys im Gas-Deal, http://www.nzz.ch/nachrichten/schweiz/egl-chef_relativiert_rolle_calmy-reys_im_gas-deal_1.699939.html
– SF DRS, 17. März 2008, «USA verurteilen Gas-Deal mit Iran», http://tagesschau.sf.tv/nachrichten/archiv/2008/03/17/schweiz/usa_verurteilen_gas_deal_mit_iran
– «Reisehinweise Iran», Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA), 17. 6. 2009, http://www.eda.admin.ch/eda/de/home/reps/asia/virn/rhira.html
– Tages-Anzeiger vom 23. Juni 2009, «Jetzt äussert sich Calmy-Rey doch zum Iran», http://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/Jetzt-aeussert-sich-CalmyRey-doch-zum-Iran/story/26981971
– Erdgas (Geschäftsstelle des Verbands der Schweizerischen Gasindustrie), «Schweizer Erdgas mehrheitlich aus Europa», http://www.erdgas.ch/de/energietraeger-erdgas/der-weg-des-erdgases/verbrauch.html
– Erdgas, Gasorama Ausgabe 4, Mai 2008, «Erdgas-Vertrag mit nachhaltigen Reaktionen»
– EGL Geschäftsbericht 2007/08
– Angaben EGL siehe auch http://www.egl.ch
– Berechnung 55 Mia. kWh Erdgas basiert auf der Rechnung: 1 Kubikmeter Erdgas = ca. 10 Kilowattstunden

Autor: slkrf, gepostet auf http://slkrf.tumblr.com/post/154368996/20-milliarden-us-dollar-und-der-menschenrechtsdialog

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