Dienstag, 8. Dezember 2009

Bericht vom landesweiten Protest am 7.12./16. Azar


Zusammenfassung:
  • am 7.12./16. Azar war der "Nationale Studententag", an dem der Ermordung von Studenten während der Diktatur des Shah im Jahr 1953 gedacht wird
  • schon am Vormittag wurden Universitäten in Teheran und anderen Städten von bewaffneten Sicherheitskräften besetzt und abgeriegelt
  • die Proteste dehnten sich auf ganz Iran aus. Von NiteOwl sicher bestätigt sind Proteste aus Tehran, Shiraz, Mashhad, Kermanshah, Isfahan, Kerman, Hamedan, Arak, Najafabad, Tabriz, Karaj und Sanandaj. Aus etlichen anderen Städten wird ebenfalls von Protesten berichtet.
  • NiteOwl schätzt, dass mindestens 10.000 Menschen sich insgesamt an den Protesten in Teheran beteiligten. Über diese Zahl gab es Meinungsverschiedenheiten, da Andere von deutlich mehr Beteiligten ausgingen. NiteOwl blieb jedoch dabei mit der Begründung, dass die Quellen, die ihm zur Verfügung stünden, nichts anderes hergäben.
  • bedeutsamer als die Anzahl der Teilnehmer finde ich, dass unter der schweren Repression überhaupt Proteste stattfinden, diese sich radikalisiert und geografisch ausgeweitet haben. Die Proteste richteten sich direkt gegen den Revolutionsführer Ali Khamenei, und (nach meinen Informationen) auch zum ersten Mal gegen den Begründer der Islamischen Republik, Ayatollah Khomeini.
  • die Sicherheitskräfte gingen teilweise sehr brutal mit Schlagstöcken und Tränengas gegen Demonstranten vor. Immerhin wurde nicht auf Demonstranten geschossen, es gab lediglich Warnschüsse in die Luft. Den Berichten zufolge sind keine Todesopfer zu beklagen. In Hamedan sollen jedoch zwei Studenten schwer verletzt worden sein, als sie im zweiten Stock aus dem Fenster geworfen wurden.
  • Zahra Ranavard, die Ehefrau von Mir Hossein Mussawi, wurde in der Tehran University von Basijinnen (weibliche Basij) durch Pfefferspray verletzt.
NiteOwl hat die geografische Ausdehnung der Proteste auf der Landkarte ganz oben sichtbar gemacht.

Das wahre Ausmaß der Proteste wird wohl erst in einigen Tagen sichtbar werden, wenn mehr zuverlässige Informationen zur Verfügung stehen.


Hier ein ausführlicher Bericht von Nite Owl vom 7. Dezember 2009, http://www.dailyniteowl.com/wordpress/index.php/2009/12/07/protesters-defy-iranian-government-again/

16azar

Deutsche Übersetzung: Julia, http://englishtogerman.wordpress.com/2009/12/08/demonstranten-bieten-dem-regime-erneut-die-stirn/

“Dieser Bericht wurde in den späten Abendstunden des 16. Azar geschrieben. Seitdem hat sich viel verändert. Viele neue Nachrichten sind aus Iran gekommen, die diesem Berich möglicherweise widerprechen. Ich habe diese Nachrichten hier nicht aufgenommen, werde das aber im nächsten Bericht nachholen.“

Am 7. Dezember 2009 haben neue Wellen oppositioneller Proteste ganz Iran erschüttert. Zwar waren die Proteste geringfügig kleiner als die vom 4. November, aber dennoch zeigten sie wieder einmal, dass die Regierung in Iran vor einer ernsten Herausforderung durch die Opposition steht.
Der 7. Dezember, der Nationale Studententag, ist traditionellerweise ein Tag, an dem die Studenten sich versammeln. Dass Studenten und Oppositionsanhänger dieses Mal ohne ihre Führer auf die Straße gingen, ist ein besorgniserregendes Zeichen für eine Regierung, die bereits alles versucht hat – von Schüssen auf friedliche Demonstranten bis hin zu Folter und Inhaftierung von Reformaktivisten.

Wegen des von der Regierung verhängten Verbots ausländischer Medien und starker Einschränkungen reformorientierter Nachrichtenquellen war der Informationsfluss sehr verhalten – im Vergleich mit früheren Protesten. Die oppositionellen Demonstranten waren jedoch in der Lage, die Nachrichten über online-Medien und Netzwerke nach außen zu bringen, und dadurch erhalten wir ein ziemlich vollständiges Bild von dem, was in Iran geschehen ist.

Demonstrationen können aus Teheran, Shiraz, Mashhad, Kermanshah, Isfahan, Kerman, Hamedan, Arak und Najafabad bestätigt werden. Es gibt teilweise bestätigte Berichte über Demonstrationen in den Städten Sanandaj und Yasuj. Aus den Städten Tabriz, Ahvaz und Shahre Kurd gibt es bislang allerdings keine wirkliche Bestätigung der von dort berichteten Proteste. Auch aus anderen Städten wird über Demonstrationen berichtet: Rasht, Zahedan, Sari, Karaj und Oromieh. Kein Teil Irans scheint von der Wut der Opposition verschont geblieben zu sein.

Es folgt ein vollständiger Bericht über die Ereignisse in Teheran sowie einige Informationen über andere Städte, aus denen Demonstrationen sicher bestätigt werden konnten.

Teheran
Die Regierung hatte sich durch Drosselung des Internetzugangs in der gesamten Stadt vorbereitet. Mobilfunkverbindungen waren in den zentralen Teilen der Stadt, wo die meisten früheren Proteste stattgefunden hatten, blockiert. Obwohl die Proteste erst um 15 Uhr Ortszeit (? „1500 hours Iran time“) beginnen sollten, waren alle großen Universitäten bereits in den frühen Morgenstunden von Sicherheitskräften umstellt, nur Studenten mit gültigen Ausweisen wurde der Zutritt gestattet. Im Stadtzentrum Teherans war heute eine Armee von Sicherheitskräften präsent. In einigen Stadtteilen gab es mehr Sicherheitskräfte als Demonstranten.

Trotzdem begannen die Demonstrationen gegen Mittag in der Umgebung der Teheran-Universität, als Studenten begannen, Parolen gegen die Regierung zu skandieren. Auch in der Teheraner Sharif-Universität, der Polytechnischen Universität, Elm-o Sanat und Amir Kabir wurden Parolen gerufen. Sehr bald stießen hunderte weitere Einwohner Teherans zu den Demonstranten, die sich am Enghelab Square und am Vali-Asr Square versammelt hatten und Parolen riefen.

Als weitere Demonstranten versuchten, ins Innere der Teheran-Universität zu gelangen. Die Demonstranten riefen „Tod dem Diktator“, „Tod Khamenei“ und „Mahmoud, du Verräter.. du hast unser Heimatland zerstört“. Obwohl es an den Plätzen Vali Asr und Enghelab und auch an anderen Orten, an denen sich Studenten und normale Bürger Teherans versammelt hatten, zu Zusammenstößen kam, war die Teheran-Universität Hauptschauplatz der Konfrontationen.

Am Enghelab Square und in der Teheran-Universität schlugen die Spezialeinheiten wahllos mit Schlagstöcken auf Menschen ein und feuerten Tränengas in die Menge. Auch in anderen Teilen der Stadt wurden Menschen angegriffen. Berichte bestätigen, dass Dutzende verletzt wurden, offenbar wurde aber niemand getötet. Am Ende des Tages erschienen Berichte über die Verhaftung von mindestens drei Dutzend Menschen, möglicherweise weit mehr, durch Sicherheitskräfte. Aus mehreren Stadtteilen wurde auch von Schüssen in die Luft berichtet, aber es wurde bestätigt, dass die Schüsse lediglich in die Luft abgegeben wurden, um die Demonstranten zu ängstigen.

Die einzige wichtige Persönlichkeit aus den Reihen der Opposition, die sich an den Protesten beteiligte, war die Tochter des früheren Präsidenten Hashemi Rafsanjani, Fayezeh Hashemi. Sie schloss sich den Demonstranten in Teheran an, und Videos zeigen sie in Begleitung anderer Demonstranten, die skandieren „Danke, danke“. Auch wenn es sich nicht unabhängig bestätigen lässt, ob sie tatsächlich teilnahm, so hat sie sich doch in der Vergangenheit fast jeder Demonstration der Opposition angeschlossen. Es gab auch Gerüchte darüber, dass Moussavis Ehefrau Zahra Rahnavard an den Protesten teilgenommen habe, allerdings konnte dies nicht durch verlässliche Quellen bestätigt werden. (Nachtrag: Mittlerweile ist diese Nachricht bestätigt. Rahnavard wurde in der Teheran-Universität auch angegriffen, weibliche Basijis setzten Tränengas gegen sie ein. Wie berichte wird, erlitt sie bei dem Angriff schwere Augenverletzungen).

Es ist relativ schwierig abzuschätzen, wie viele Menschen an den Demonstrationen teilnahmen. Wenn man die Bilder und Videos aus verschiedenen Teilen der Stadt und den Universitäten betrachtet, kann man mit Sicherheit sagen, dass es über den Tag verteilt MINDESTENS zwischen fünf- und zehntausend Menschen waren. (Bitte nicht vergessen, dass dies nur eine Schätzung ist. Ich kann mich sehr gut auch irren, ich war nicht dort und habe es nicht selbst gesehen. Ich habe diese Zahl lediglich aus Videos und Bildern entnommen. Ich kann nichts über Menschen sagen, die nicht auf den Videos zu sehen waren oder über deren Teilnahme mir nicht berichtet wurde).
Erwähnenswert ist, dass es an der Teheran-Universität auch einen von der Regierung genehmigten Protest gab, an dem angeblich über 1000 Regierungsanhänger teilnahmen.
Allerdings konnte dies nicht zuverlässig bestätigt werden.

Mashhad
Meherer Hundert Studenten versammelten sich in der Universität Mashhad, skandierten Parolen gegen die Regierung und sangen das patriotische Lied „Yare Dabestani“. Bestätigte Berichte sprechen von Zusammenstößen oder Demonstrationen außerhalb der Universität.

Shiraz
Hunderte Studenten und normale Bürger von Shiraz haben an der Hauptuniversität von Shiraz und im Stadtzentrum protestiert. Auch hier wurden die Menschen daran gehindert, das Hauptgelände der Universität zu betreten, wenn sie keine Studenten waren. Berichte von Zusammenstößen in der Stadt sind bestätigt worden. Es gab auch Berichte über Verhaftungen, allerdings konnte keiner davon bestätigt werden.

Kermanshah
Über 1000 Studenten versammelten sich an der Razi-Universität, der größten Einrichtung für höhere Bildung in der Stadt. Mindestens 200 Sicherheitskräfte waren um die Universität herum präsent und hinderten alle Menschen am Betreten des Geländes, die keinen gültigen Studentenausweis vorweisen konnten.

Hamedan
Die Bu-Ali Sina-Universität war Hauptschauplatz der Demontration. Die Zusammenstöße waren hier vielleicht am gewalttätigsten. Berichte von blutüberströmten Studenten, die vom Schauplatz weggebracht wurden, konnten durch mehrere Quellen bestätigt werden. Auch hier liegt die Zahl der Teilnehmer bei mehreren hundert.

Arak, Kerman und Najafabad
In den größten Universitäten der drei Städte skandierten Demonstranten Parolen. Die Demonstrationen verliefen weitgehend friedlich. Viel mehr konnte nicht bestätigt werden. Die Teilnehmerzahlen hier waren vergleichbar mit denen in Shiraz und Mashhad.

Dieser Bericht wurden auf der Grundlage von Augenzeugenberichten, iranischen oppositionellen Webseiten und Medienkontakten außerhalb Irans zusammengestellt. Die regierungseigenen Medien in Iran haben so gut wie nichts über die Proteste berichtet, so dass man über ihre Sicht der Dinge nur spekulieren kann.

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