Samstag, 18. Juli 2009

Green Brief #31 vom 17. Juli 2009, deutsche Übersetzung

Quelle: http://iran.whyweprotest.net/green-brief/15529-green-brief-31-july-17-a.html (englisch)

Ich bin NiteOwl alias Josh Shahryar - twitter.com/iran_translator bei Twitter. Während der letzten Stunden habe ich mich intensiv mit den Twitter-Nachrichten (tweets) aus dem Iran beschäftigt. Ich habe versucht, bei der Auswahl meiner Twitter-Quellen sehr vorsichtig vorzugehen. Was ich im Folgenden zusammengestellt habe, ist das, was ich auf der Grundlage verlässlicher Twitter-Quellen glaubhaft berichten kann. Trotzdem ist zu beachten: Alle nachfolgenden Informationen basieren einzig auf Twitter-Nachrichten; (Meine Arbeit erscheint unter den Konditionen von Creative Commons. Sie kann frei genutzt und überall veröffentlicht werden. Ich bitte lediglich um einen Verweis auf die Originalquelle und den Disclaimer).

Die folgenden wichtigen Ereignisse kann ich von Freitag, dem 17. Juli 2009, aus dem Iran bestätigen:

Protestaktionen, Unruhen

1. Das von Hashemi Rafsandschani geleitete Freitagsgebet wurde heute von umfangreichen Demonstrationen in ganz Teheran und in vielen anderen Teilen des Iran begleitet. Die Predigt Rafsandschanis wurde zwar von den iranischen Fernsehsendern nicht live übertragen, dafür aber von einem Radiokanal des staatlichen iranischen Rundfunks (IRIB) - Eine Übersetzung von Ausschnitten der Freitagspredigt Rafsandschanis auf Englisch findet sich hier: Rafsanjani's Friday Prayer Sermon - Why We Protest - IRAN.

2. Viele hochrangige reformorientierte Politiker des Iran waren während der Freitagspredigt anwesend, darunter Mir Hussein Mussawi, Mehdi Karubi und Abdollah Nouri. Mussawis Ehefrau, Zahra Rahnavard, sowie Rafsandschanis Ehefrau und zwei seiner Töchter nahmen ebenfalls am heutigen Gebet teil.

3. Mehdi Karubi wurde auf dem Weg zum Gebet vor der Teheraner Universität angegriffen. Auch Abdollah Nouri – ehemaliger Minister unter den Präsidenten Chatami und Rafsandschani sowie hoch angesehener Reformpolitiker, der von den Konservativen verspottet wurde – wurde auf dem Weg zur Teheraner Universität von Basidschi-Milizen beleidigt und attackiert. Der ehemalige reformorientierte Präsident Mohammad Chatami wurde beim Gebet nicht gesehen. Konservative Politiker blieben dem Gebet weitgehend fern.

4. In seiner Predigt, forderte Rafsandschani die Regierung auf, alle politischen Gefangenen freizulassen. Alle Seiten der politischen Debatte ermutigte er, sich zusammenzusetzen und die Probleme zu diskutieren, und die Regierung sowie die Sicherheitskräfte forderte er auf, bei der Behandlung von Gefangenen die Gesetze zu beachten. Weiter sprach er sich für ein Ende der Zensur der Medien aus und sagte, der Wächterrat habe eine Chance verpasst, das Vertrauen der Bevölkerung wiederherzustellen.

5. Tausende Menschen nahmen an der Predigt Rafsandschanis an der Teheraner Universität teil, viele davon ProtestantInnen mit grünen Bändern um Köpfe oder Handgelenke. Weitere tausende Menschen hatten sich außerhalb der Universität versammelt, während hunderttausende während der Predigt durch andere Teile Teherans marschierten.

6. Protestierende im Innern der Moschee riefen “Allah o Akbar”, “Azadi… Azadi” (Freiheit… Freiheit) sowie Sprechchöre gegen Russland und China. Rafsandschani versuchte mehrfach, die Sprechchöre zu unterbinden, doch sie wurden immer wieder neu angestimmt. Es sollte erwähnt werden, dass durch einen Lautsprecher in der Moschee die Parole “Tod für Amerika!” gerufen wurde; doch jedes Mal, wenn dies zu hören war, antworteten die Menschen laut mit “Tod für Russland, Tod für China!”.

7. Wie viele Menschen sich in Teheran versammelt hatten, ist sehr schwer zu ermitteln. Während Twitter-Quellen behaupteten, bis zu vier Millionen Menschen seien auf den Straßen gewesen, waren die tatsächlichen Zahlen vermutlich viel geringer. Von veröffentlichten Foto- und Videoaufnahmen sowie von Aussagen verlässlicher Twitter-Quellen lässt sich ableiten, dass etwa eine Million oder etwas mehr Menschen an den Demonstrationen teilnahmen. Auch das ist aber nur eine Schätzung.

6. Bei weitem der größte Teil der Menge bewegte sich von der Teheraner Universität zum Azadi-Platz. Straßen in der Umgebung der Universität waren voll von DemonstrantInnen. Auch einige hundert Pro-Ahmadinedschad- und Pro-Chamenei-DemonstrantInnen waren unterwegs. Viele hielten Plakate mit Bildern der beiden Politiker in den Händen und marschierten ebenfalls Richtung Azadi-Platz.
7. Tausende Menschen versammelten sich in der Umgebung des Innenministeriums, des Gebäudes des staatlichen iranischen Rundfunks und vor dem Evin-Gefängnis. Eine große Zahl von DemonstrantInnen war auf dem Keshavarz-Boulevard, dem Enghelab-Platz, dem Valiasr, dem Jamhori-Boulevard, dem Ferdowsi-Platz, der Quds-Allee sowie der 16 Aza-Allee unterwegs. Die Protestierenden riefen „Tod dem Diktator“ (“Death to the Dictator”), „Wo ist meine Stimme?“ (“Where’s My Vote?”) und ähnliche Parolen.

8. Die Mobilfunkverbindungen waren in den meisten Teilen des Teheraner Zentrums sowie in Gegenden, in denen sich Protestierende versammelt hatten, unterbrochen. Fotographen und Kameraleute des staatlichen iranischen Rundfunks (IRIB) machten sowohl aus der Menge heraus als auch von hohen Gebäuden Aufnahmen einzelner DemonstrantInnen. Dies wurde dadurch erschwert, dass nicht nur in der Innenstadt, sondern in allen Teilen Teherans Proteste stattfanden.

9. Basidschi-Milizen und andere Sicherheitskräfte gingen heute erneut mit Gewalt gegen die Protestierenden vor. Mindestens zwei Personen wurden erschossen und eine junge Frau wurde Berichten zufolge während der Proteste getötet. Die Basidschi-Milizen schlugen mit Schlagstöcken auf die Menschen ein – auch auf kleine Kinder und Frauen. Berichten zufolge wurden viele Frauen durch Mitglieder der Basidschi-Milizen, die als Frauen gekleidet waren, mit Messern verletzt. Basidschi-Milizen warteten in mehreren Moscheen im Stadtgebiet, um sich auf die Zusammenstöße mit den Protestierenden vorzubereiten.

10. Heftige Zusammenstöße wurden von der Umgebung des Gebäudes des staatlichen iranischen Rundfunks, von der Jame Jam Straße, vom Keshavarz-Boulevard, von der Amirabad Straße, von den Studentenwohnheimen der Teheraner Universität, vom Ferdowsi-Platz, von der Jomhoori Straße, von der Azadi-Straße und von fast allen Teilen des Teheraner Zentrums gemeldet. Am heftigsten waren die Zusammenstöße vor der Teheraner Universität. Schüsse wurden aus mehreren Teilen der Stadt vernommen, besonders vom Azadi-Platz. Die Basidschi-Milizen griffen selbst Menschen an, die zum Gebet gekommen waren.

11. In Teheran wurden heute mehr als hundert Personen festgenommen, die meisten davon im Stadtzentrum. Basidschi-Milizen und andere Sicherheitskräfte setzten in vielen Stadtteilen ausgiebig Tränengas ein. Es gibt außerdem Berichte, wonach viele Mitglieder der Basidschi-Milizen Elektoschock-Waffen bei sich hatten und diese gegen die Protestierenden einsetzten. Militärhubschrauber kreisten fast den gesamten Tag über der Stadt. Viele Ladenbesitzer und Menschen, die nahe der Orte, an denen Protestaktionen stattfanden, wohnen, öffneten ihre Wohnungen für Protestierende, die auf der Flucht vor Sicherheitskräften waren. AutofahrerInnen, die an den Demonstrationen vorbeifuhren, hupten zum Zeichen ihrer Unterstützung für die Protestierenden. Die Demonstrationen dauerten bis etwa Mitternacht Teheraner Zeit an.

12. Heute gab es außerdem Berichte von Protestaktionen in den Städten Karaj, Ghazvin, Mashhad und Tabriz. In Mashhad marschierten hunderte Menschen mit grünen Plakaten durch die Straßen. Teilweise bestätigt werden kann, dass Basidschi-Milizen in Mashhad Tränengas einsetzten, um die Protestierenden auseinander zu treiben und dass dort mehrere Menschen verletzt wurden. Eine kleine Demonstration fand in Qom statt.

13. Während der gestrigen Rede von Ahmadinedschad in Mashhad riefen bestätigten Berichten zufolge viele Menschen "Allah o Akbar“-Sprechchöre; viele ZuhörerInnen trugen grüne Kopf- und Armbänder.

Opposition

14. Die Reformpartei „Partizipationsfront des islamischen Iran“ („Participation Front“) veröffentlichte heute eine Erklärung, in der sie der Protestbewegung „Grünes Meer“ („Sea of Green“) für die Teilnahme an den Demonstrationen am Freitag dankte.. Die Erklärung führte weiter aus, dass die Verantwortlichen des Staatsstreichs am Ende den Kampf gegen die Bevölkerung verlieren würden.

15. Berichte deuten darauf hin, dass Said Mohammad Chatami und Abdullah Nouri am Dienstag vergangener Woche zusammengetroffen waren, um die aktuelle Lage im Land zu erörtern. Nouri soll sich auf Drängen Chatamis der Widerstandsbewegung gegen das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen angeschlossen haben.

Regierung, Internationales

16. Mahmud Ahmadinedschad hat bisher mehrere Mitglieder seines zukünftigen Kabinetts ernannt; eine komplette Liste der Kabinettsmitglieder soll jedoch erst nach seiner Amtseinführung bekannt gegeben werden. Zum Vizepräsidenten wurde Asfandyar Rahim Mashaie berufen. Ahmadinedschad berief außerdem einen neuen Chef für die iranische Atombehörde.

17. Irans Informations- und Geheimdienstminister Gholam-Hossein Mohseni-Ejei lies heute verlauten, Israel sei einer der Feinde der Islamischen Republik und stecke hinter diversen Einmischungen in die Angelegenheiten Irans. Ejei fügte hinzu, die israelische Regierung habe außerdem versucht, Ahmadinedschad während der Wahlen zu ermorden.

Verhaftungen, Freilassungen, Tötungen

18. Neue Berichte deuten darauf hin, dass mindestens 36 Offiziere der Iranischen Armee festgenommen worden sind, weil sie an Gebeten für Inhaftierte und Getötete teilgenommen hatten. Sie wurden in der Stadt Ray in der Nähe von Teheran verhaftet und sind wegen Geheimtreffen und Planung von Sabotageaktivitäten angeklagt.

19. Shadi Sadr, eine iranische Rechtanwältin, Frauenrechtlerin und Journalistin, wurde heute auf dem Weg zum Gebet in Teheran geschlagen und festgenommen. Später wurde ihr Haus von Sicherheitskräften ausgiebig durchsucht. Ihr Aufenthaltsort ist derzeit unbekannt. Neue Berichte deuten außerdem darauf hin, dass Roshanak Siyasi, eine weitere Frauenrechtlerin und Reformaktivistin, gestern ebenfalls festgenommen wurde. Andere Festnahmen der letzten Tage betreffen Ahmad Madadi, Raoof Taheri und Reza Abbasi aus Zanjan.

20. Ein Berater Moussawis gab bekannt, dass ein Gemium aus Reformkräften, das sich mit den Fällen politischer Häftlinge befassen soll, ab Samstag seine Arbeit aufnehmen wird. Familien von Inhaftierten können das Büro des Gremiums unter der Telefonnummer 77637696 erreichen.

21. Ich kann nun die mehrfache Vergewaltigung und Tötung von Taraneh Mussawi bestätigen. Es handelt sich dabei um eine linksgerichtete reformorientierte Studentin, die vor mehreren Tagen von Basidschi-Milizen festgenommen worden war. Sie wurde mehrfach vergewaltigt und ihre verkohlte Leiche wurde vor zwei Tagen in Ghazvin gefunden. Eine andere Inhaftierte Person starb Berichten zufolge am 9 Juli. Über deren Todesursache ist derzeit nichts bekannt.

Medien

22. Der staatliche iranische Rundfunk IRIB zensierte viele der reformfreundlichen Äußerungen Rafsandschanis und richtete sein Hauptaugenmerk auf seine Worte zur Einheit. Der Sender „Fars News“ behauptete, während der Predigt seinen Pfiffe und Klatschen zu hören gewesen. IRIB berichtete außerdem nicht über die Sprechchöre gegen China und Russland.

*Viele Fragen zur gestrigen Erklärung des französischen Außenministers Bernard Kouchner, wonach Frankreich Ahmadinedschad als Präsident anerkennen wolle, wurden von einer/m verantwortungsbewussten französischen BürgerIn beantwortet, die/der uns eine wertvolle Analyse der Sachverhalts zur Verfügung gestellt hat (Auf Englisch zu finden unter: What Bernard Kouchner REALLY said about Iran - Why We Protest - IRAN).

**Diese Bild (http://tinyurl.com/lkqscu, Eigentum eines Freundes) ist alt, doch ich habe mich entschieden, hier darauf zu verweisen, falls es jemand noch nicht gesehen hat. Es zeigt, wie die Iranische Regierung Bilder einer pro-Ahmadinedschad-Demonstrationen vor einigen Wochen nachbearbeitet hat, um sie größer erscheinen zu lassen.

***Ein herzliches Dankeschön an Sahar joon für die Hilfe beim Korrekturlesen und sehr wertvolle Tipps.

Bitte verbreiten Sie diesen Brief weiter und lassen Sie dadurch mehr Menschen wissen, was im Iran vor sich geht.

Die iranische Regierung schränkt die Nutzung des Internet weiter ein, um ihre Bevölkerung zum Schweigen zu bringen.

Viele Menschen im Iran suchen nach Informationen über Proxy-Server und Tor in Teheran und im ganzen Land.

Bitte spenden Sie Bandbreite. Sie leisten dadurch einen Beitrag, den iranischen Vorhang zu überwinden.

Es folgen einige Links mit Informationen dazu, wie man helfen und Hilfe erhalten kann:

Deutsch:

Was ist Tor? Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Tor_(Netzwerk)

Info und Anleitung: offizielle Seite des Torprojekts http://www.torproject.org/index.html.de


Englisch:

Tor Browser Bundle

Tor Browser Bundle

Tor Browser Bundle

Tor and the Iranian Election - Bring down the Iran Curtain | Ian's Brain

Farsi (persisch):

Tor Browser Bundle

Tor: آنلاين Tor

Helfen Sie uns, mehr Brücken mit Tor aufzubauen: http://gonzotimes.net/?page_id=500

Übersetzt von Josh, Quelle: http://iran.whyweprotest.net/green-brief/15529-green-brief-31-july-17-a.html (englisch)

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